Page 25 - Salzgitter AG Verantwortung und Perspektiven
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ich unter anderem politische Kommuni­ kation, um den Dialog mit Stakeholdern und Entscheidungsträgern in vielen Fällen überhaupt erst mal auf ein vernünftiges inhaltliches Fundament zu stellen. Diese sogenannte Lobbyarbeit eines Wirtschafts­ oder Industrieunternehmens wird häufig zunächst mit etwas Negativem assoziiert. Dabei handelt es sich vor allem um Infor­ mationsvermittlung, für die viele sehr dank­ bar sind. Wie sollen denn tragfähige Ge­ setze und Verordnungen zustande kommen, wenn diejenigen nicht ausreichend beteiligt werden, die sie technisch umsetzen sollen und am Ende die Kosten tragen? Wir dürfen und müssen da selbstbewusst sein: Zum einen stehen wir für rund 25.000 Arbeits­ plätze, die es verdient haben, sich Gehör in gesellschaftspolitischen Debatten zu ver­ schaffen. Wir haben hier die gleiche Berech­ tigung zur Teilhabe wie beispielsweise Um­ weltverbände. Zum anderen freue ich mich darüber, dass wir von unseren Stakeholdern in unserer Argumentation ernst genommen werden, weil wir inhaltlich wichtige Beiträge liefern und nicht auf abgedroschene Platti­ tüden setzen.
EU und Bundesregierung haben sich ambi- tionierte Klimaschutzziele gegeben. Wel- che Folgen hat das für die heimische Stahl- industrie und ihre Wettbewerbsfähigkeit?
TRAUPE Ein nationales Klimaschutzziel, losgelöst vom Rest der Welt, ist letztlich nicht zweckmäßig. Wir könnten aufgrund der deutschen und europäischen Klima­ und Energiepolitik mit vergleichsweise strengen Regelungen ins Hintertreffen gegenüber Konkurrenten auf den internati­ onalen Märkten geraten. Die deutsche Stahlindustrie produziert auf weltweit höchstem technischen Niveau. Die CO2­ Emissionen sind bis heute so verringert worden, dass sie sehr nahe an der naturwis­ senschaftlich­verfahrenstechnischen Gren­ ze liegen und praktisch nicht weiter minder­ bar sind. Das erkennen inzwischen auch große Teile der Politik an. Deshalb droht aus dem Emissionsrechtehandel, so wie er heute gestrickt ist, de facto nichts anderes als eine weitreichende Produktionsbesteuerung, de­ ren Zusatzkosten wir nicht weitergeben können. Wir brauchen hier aus meiner Sicht einen neuen Denkansatz, der die notwendi­ gen energie­ und klimapolitischen Rahmen­
bedingungen in Deutschland und Europa anders beleuchtet, wenn man einerseits von uns grundlegende verfahrenstechnische Umstellungen will und es andererseits wirk­ lich ernst damit meint, Stahlerzeugung hierzulande zu erhalten.
Was haben wir hier im Blick?
TRAUPE Anlässlich der diesjährigen Hannover Messe haben wir u.a. mit unse­ rem Projekt „SALCOS“ (SAlzgitter Low CO2 Steelmaking, Red.) umrissen, wie es gehen könnte. Aber eines ist schon jetzt klar: Wenn sich ein solch bahnbrechender Ansatz als technisch und im industriellen Maßstab machbar erweisen sollte, wird es notwendig sein, heute etablierte und gut funktionierende Produktionsverfahren durch
DIE STAHLZEIT WIRD NICHT DAS SCHICKSAL DER STEINZEIT TEILEN
neue zu ersetzen. Wegen des Wettbewerbs im Absatzmarkt kann aber nicht von besseren Erlöschancen für „auf neuen Wegen“ erzeugte Produkte ausgegangen werden. Sollte also ein solcher Umbau in Deutsch­ land oder Europa forciert werden und diese neuen Anlagen sich dann der weltweiten, allerdings mit heutigen Verfahren arbeiten­ den Konkurrenz stellen, so wird es einer massiven finanziellen Unterstützung bedür­ fen. Am Ende wird es hier also nicht in erster Linie um die Kosten für Forschung und Entwicklung, sondern vor allem um Umsetzungsförderung in den industriellen MaßstabsowiefürdenBetriebsolcherTechno­ logien gehen müssen. Dies umreißt, meine ich, ganz gut die immense Herausforderung.
Welchen Beitrag leistet unsere Industrie zur Erreichung der Klimaziele?
TRAUPE Ohne den Werkstoff Stahl kön­ nen die Klimaziele nicht erreicht werden, weder national noch international. Denken Sie an Windkraftanlagen an Land und auf See, an automobilen Leichtbau oder die effi­ ziente Energieerzeugung in Kraftwerken – das alles ist ohne innovative Stahlprodukte nicht möglich. Ich weise bei der Frage gern auf die Ergebnisse einer Studie der Boston
UNSERE VERANTWORTUNG
INTERVIEW
Consulting Group zur CO2­Bilanz von Stahl vor wenigen Jahren hin: Wenn man die CO2­Emissionen in unserer industriell ge­ prägten Volkswirtschaft wirklich nachhaltig senken möchte, ist die Erzeugung innovati­ ver Stähle und deren Einsatz in hochmoder­ nen Anwendungen eine besonders wichtige Komponente. Die Untersuchung einiger Beispiele hat gezeigt: Das Erreichbare über­ wiegt die CO2­Emissionen der dafür nöti­ gen Stahlerzeugung selbst etwa um den Faktor 6. Eine leistungsfähige Stahlindustrie mit ihren innovativen Werkstoffen ist also auch aus klimapolitischer Sicht ein wichti­ ges Glied in der Wertschöpfungskette.
Sehen Sie diese Potenziale des Werkstoffs Stahl ausreichend kommuniziert?
TRAUPE Ich glaube noch nicht genug. Wir senden zwar zu Stahl inhaltlich die richtigen Botschaften, wollen aber für unse­ ren modernen Werkstoff in der Breite noch mehr erreichen. Andere Materialien punk­ ten oft – dem Zeitgeist folgend – mit einfa­ chen und gut verkäuflichen Botschaften, wie beispielsweise dem geringen spezifischen Gewicht allein. Dies ist aber nur eine Facette der notwendigen ganzheitlichen und da­ durch nachhaltigen Betrachtung. Es muss uns gelingen, beispielsweise im ökologi­ schen Bereich ein verständliches Gesamt­ bild zu erzeugen, das insbesondere die Recyclingfähigkeit einschließt. Wir müssen uns um die Zukunft von Stahl und Stahl­ produkten im Wettbewerb zu anderen Werkstoffen nicht sorgen.
Haben Sie ein Lieblingsbeispiel für Recyc- ling und Weiterverwendung im Konzern?
TRAUPE Das allerbeste Beispiel für Nachhaltigkeit ist für mich im Grunde das integrierte Hüttenwerk der Salzgitter Flach­ stahl GmbH selbst. Aus diversen Rohstoffen wie Erz, Kokskohle und Schrott werden in einem nahezu geschlossenen Prozess Stahl­ produkte hergestellt. Dabei gehen nur sehr wenige Anteile verloren oder können nicht weiterverwendet werden. Zu sehen, wie fein abgestimmt hier die Räder ineinandergrei­ fen, wie akribisch mit den riesigen Mengen­ strömen umgegangen wird und auch für die Nebenprodukte sinnvolle Verwendungsketten aufgestellt worden sind, nötigt mir höchsten Respekt ab. Man kann mit Fug und Recht sagen: Es läuft rund!
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Interview aus den STIL Magazin 03 2017
















































































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