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Page 6 - STIL 1 2020
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 Auch Annalena Baerbock (2. v. l.), Bundesvorsitzende der Grünen, informierte sich über SALCOS®. Gesprächspartner waren: Vorstandsvorsitzender Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann; Dr. Jens Traupe, Leiter Umweltschutz- und Energiepolitik; Sandrina Sieverdingbeck, Leiterin Konzernstrategie; und Alexander Heck, Leiter Corporate Affairs (v. l.)
Prof. Fuhrmann: In einem gemeinsamen Inter- view mit der „Welt“ Anfang dieses Jahres hat es Dr. Patrick Graichen, Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, exakt auf den Punkt ge- bracht: „Das ist hier jetzt eine Projektkategorie à la Wiedervereinigung oder Wiederaufbau nach dem Krieg und nicht ein bisschen Schraube hier und Schraube da.“ Ich stimme dem absolut zu, denn
es sollen historisch gewachsene und gut funk- tionierende Systeme von Energieerzeugung und -transport, des Güter- und Individualverkehrs, von industrieller Produktion bis zur Versorgung mit Wärme auf eine neue Grundlage gestellt werden. Die ganze Gesellschaft soll dekarbonisiert werden; weg von fossil-kohlenstoffbasierten Prozessen
hin zu solchen, bei denen kein oder kaum CO2 ausgestoßen wird. Dies ist der erklärte politische und gesellschaftliche Wille, der in definierten Schritten bis 2050 vollzogen werden soll. So haben es die Bundesregierung und die EU-Kommission entschieden: ein Megavorhaben, bei dem kaum ein Stein auf dem anderen bleiben wird.
Die Salzgitter AG ist mit „SALCOS® – Salzgitter Low CO2 Steelmaking“ Vorreiter der Dekarboni- sierung der Stahlindustrie, weil wir frühzeitig mit Partnern wie der Fraunhofer-Gesellschaft und dem Anlagenbauer Tenova eine zügig umsetzbare Strategie entwickelt haben, die konsequent auf CO2-Vermeidung mit einer innovativen Kombi- nation industriell erprobter Verfahren setzt. Wir haben dafür den Begriff „CDA – Carbon Direct Avoidance“ geprägt. Mittlerweile sind so gut
wie alle Wettbewerber auf unseren CDA-Ansatz umgeschwenkt.
STIL: Wo stehen wir mit SALCOS®?
Prof. Fuhrmann: Technisch sind wir startbereit. Unser SALCOS®-Konzept ist mittlerweile in der
allgemeinen Öffentlichkeit sowie der Fachwelt gut etabliert und wurde vom niedersächsischen Wirt- schaftsminister kürzlich als Leuchtturmprojekt für die europäische Stahlindustrie bezeichnet. Apro- pos Niedersachsen: Es ist das Transformationsland Nummer eins, weil hier Offshore-Windkraft, Spei- cher für Wasserstoff, Leitungs-Infrastruktur sowie zahlreiche Unternehmen mit Perspektive angesie- delt sind. Wir müssen nur etwas daraus machen.
STIL: Können wir denn auch bereits jetzt etwas Anfassbares vorweisen?
Prof. Fuhrmann: Weil die quantitative Verfügbar- keit von grünem Wasserstoff das entscheidende Thema sein wird, wenn wir die Kohle im Reduk- tionsprozess als notwendigem Element der Roh- stahlproduktion ersetzen wollen, gehen wir bereits erste konkrete Schritte in Richtung einer eigenen Wasserstoffproduktion. So wurde der Auftrag für eine PEM-Elektrolyse bereits an Siemens vergeben. Diese wird gemeinsam mit einem von unserem Partnern E.ON auf dem Werkgelände in Salzgitter etablierten Windpark Teil des Projekts „Wind- wasserstoff “, der ersten grünen Sektorkopplung Energie – Stahl in Deutschland!
Außerdem beschäftigen wir uns mit der innova- tiven Hochtemperaturelektrolyse und erforschen mit Partnern wie Sunfire, inwieweit dieses Verfah- ren industriell skalierbar ist.
Doch eines ist entscheidend – und auch da stimme ich mit Agora Energiewende und anderen überein: Die Wirtschaft ist weiter als die Politik. Die technischen Lösungen sind da, aber es fehlen die erforderlichen politischen Rahmenbedingun- gen. Ohne diese können wir nicht loslegen, weil wir in unternehmerischer Verantwortung handeln müssen und langfristig wirkende Investitions- entscheidungen nur auf einer soliden, verlässlichen Faktenbasis fällen dürfen.
STIL: Welche Rahmenbedingungen sind hier
zu nennen?
Prof. Fuhrmann: Für die Herstellung von grünem Wasserstoff braucht man sehr viel Strom. Dieser muss zunächst einmal in ausreichender Menge aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung stehen. Das aktuelle Stocken des Ausbaus der Windenergie lässt zweifeln, ob dies allein aus heimischer Pro- duktion gelingen kann. Der Strompreis darf – im Unterschied zur gegenwärtigen Situation – dann auch nicht mit EEG-Abgabe und hohen Netzent- gelten belastet sein.
Neben Fragen rund um die Versorgung mit elek- trischer Energie kommen viele weitere Themen hinzu, denn Dekarbonisierung findet international nicht im Gleichschritt statt. Sie wird mit Schwer- punkt in Europa und mit besonders großer Konse- quenz in Deutschland vorangetrieben.
Die zukünftig „grünen“ Verfahrensrouten erfor- dern allerdings Investitionen für neue Anlagen- technik in Milliardenhöhe; auch die Produktions- kosten einer wasserstoffbasierten Stahlherstellung werden um bis zu 60 % über den heutigen liegen.
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Foto: Peter Lenke















































































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