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Page 6 - STIL 3 2021
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  6 STIL
TITELGESCHICHTE
Der Wandel der Instandhaltung
Einst Reparaturservice für den Notfall, heute Produktions- und FPlanungsbegleiter – der Weg vom Kosten- zum Wertschöpfungsfaktor
rüher waren Produktion und Instandhaltung können neue Regelungen und Gesetze wie verschärfte meist strikt getrennt – so auch vor knapp 30 Anforderungen an die Energieeffizienz einer Anlage Jahren bei der damaligen Preussag Stahl AG: den Austausch z. B. eines Antriebsmotors erfordern. Die Instandhaltung im Hüttenwerk Salzgitter
wurde damals zentral von einem Direktor geleitet, Schraubenschlüssel und Smartphone
der direkt dem Vorstand unterstand. Das begann sich 1995 zu ändern, als jede Produktgruppe eine eigene Abteilung „Anlagentechnik“ erhielt für die Instandhaltungsarbeiten an Elektrik und Mechanik; 1998 kamen Automatik und Prozesstechnik hinzu. Der Leiter jeder Produktgruppe war verantwortlich für Produktion und Instandhaltung. Fortan began- nen die Produktionsmitarbeiter, sich stärker in der Instandhaltung zu engagieren und kleinere Störun- gen selbst zu beheben, statt nach den Spezialisten zu rufen: Sie bauten Maschinenverkleidungen ab, wech- selten Komponenten aus oder machten sie gangbar – und am Hochofen ersetzten Produktionsmitarbeiter anstelle der Instandhalter die Siebkassetten.
Während dieser Umstellung wandelte sich auch die Ausbildung – weg vom Verfahrenstechniker und hin zum Industriemechaniker, der sich in Verfahrens- technik weiterbilden konnte. Zudem qualifizierten sich Maschinenarbeiter und Industriemechaniker zu Prüfmechanikern, als moderne Analysetechnik den Einsatz spezieller Werkstoffprüfer zunehmend erüb- rigte. Die Erfolge dieser Entwicklung waren messbar: Weil Mitarbeiter der Produktion Instandhaltungsar- beiten leisteten, verkürzten sich die Stillstandszeiten.
Heute wichtig für den Geschäftserfolg
Heute lauten die wichtigsten Ziele des Instandhal- tungsmanagements: Stillstände vermeiden oder zu- mindest die Ausfallzeiten und deren Auswirkungen auf die Produktion begrenzen. Aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks sind die Unternehmen auf niedri- ge Ausfallraten angewiesen, weshalb sich die Instand- haltung vom Kosten- zum Wertschöpfungsfaktor gewandelt hat. Und weil die Sicherung der Anlagen- verfügbarkeit sowie die Gewährleistung der Prozess- stabilität und Produktqualität zu ihren vordringlichs- ten Aufgaben wurden, ist die Instandhaltung heute mit der Produktion untrennbar verwoben und in die Planung neuer Anlagen miteinbezogen, damit diese instandhaltungsfreundlich konzipiert werden.
Mit der Verantwortung für den Unternehmens- erfolg sind für die Instandhaltung aber auch die An- forderungen gewachsen. Wartungs- und Austausch- intervalle haben sich verkürzt. Nach Angaben des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat sich der Lebenszyklus elektronischer Bauteile auf nur noch zwei Jahre reduziert. Zudem
Grundsätzlich ist die Anlagentechnik sehr komplex geworden. Oft sind die Ursachen einer Störung nicht so schnell zu erkennen wie bei einer gebrochenen Welle oder einem defekten Motor. Statt Schrauben- schlüssel und Hammer sind daher heute Laptop oder Smartphone als digitales, mobiles Diagnosegerät im Einsatz. Denn Fehlerquellen sind nicht mehr nur defektes Material, sondern auch Programmierfehler, Schadsoftware oder falsch ausgeführte Updates. Die Digitalisierung und Vernetzung sind in Zeiten der Industrie 4.0 für die Instandhaltung zu wichtigen Treibern geworden und haben die „smarte Instand- haltung“ zum Leben erweckt. Sensoren ermöglichen eine sich selbst überwachende und steuernde An- lagentechnik, und irgendwann wird es vielleicht nor- mal sein, dass Ersatzteile nur als Datensatz verschickt werden, um sie vor Ort im 3D-Druck herzustellen.
Schon heute ermöglichen die Vernetzung, die digitale Kommunikation und Virtual-Reality-Anwen- dungen eine Fernwartung auf hohem Niveau. Zusätz- lich ergänzen neue Aufgaben das Anforderungsprofil der Instandhaltung. Es beinhaltet den Auftrag zur permanenten Optimierung und rückt die Nachhal- tigkeit in den Fokus: Eine immer weiter verbesserte Energieeffizienz, die Schonung aller Ressourcen und die Aufarbeitung von Komponenten bzw. Ersatzteilen haben das Aufgabenfeld der modernen Instandhal- tung erweitert.
Das alles trifft für die Stahlindustrie in besonderem Maße zu. Nicht nur, weil deren Anlagen zur Stahler- zeugung, Umformung und Weiterverarbeitung oft bis zur Kapazitätsgrenze ausgelastet sind, sondern auch, weil sie im Zuge der Dekarbonisierung vor großen Umwälzungen steht. Der Bau neuer und der Umbau bestehender Anlagen wird die Instandhaltung mit Herausforderungen konfrontieren, die heute noch nicht vollumfänglich absehbar sind und flexibles, schnelles und kompetentes Handeln im Auftrag der Prozessabsicherung erfordern werden. Wichtigster Faktor wird während dieser Entwicklung trotz
aller Technik, Automatisierung und Digitalisierung der Mensch bleiben bzw. die Mitarbeiter und deren Ausbildung. Denn Wissen und Erfahrung eines „Problemlösers“ sind die wichtigsten Güter in der Instandhaltung – und die Fähigkeit, für unerwartet auftretende Schwierigkeiten schnelle, kreative Lösungen zu finden.




















































































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