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Page 21 - STIL 04 2016
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Wie kann ein solches Ungetüm die verletzli- chen Trauben von der Rebe picken? Arno Schembs, 54, reagiert belustigt auf unser mangelndes Vor- stellungsvermögen. Der Winzer aus dem Wormser Stadtteil Herrnsheim arbeitet seit 30 Jahren mit Vollerntern und hat deren Entwicklung miterlebt. Er kennt noch die ersten Geräte, die die Trauben brachial von den Reben schlugen und die Stöcke in Mitleidenscha  zogen. Heute rütteln die Maschi- nen die Stöcke wie einen Apfelbaum, bis die Flieh- kra  die Trauben vom Stielgerüst trennt, das
man hier „Rappen“ nennt. Sie fallen auf ein Be- cherband, das sie in den Behälter befördert.
Ist ein von der Maschine geernteter Wein so gut wie ein von Hand gelesener? „Im Idealfall ja“, sagt Schembs. „Allerdings erkennen die Vollernter weder unreife noch verfaulte Trauben.“ Die müssen bei hochwertigen Weinen vorsorglich per Hand ausgelesen werden. „Doch es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Maschinen auch das können“, sagt er. „Die Entwickler arbeiten schon an opti- schen Sortierern, die Farbunterschiede erkennen und abweichende Trauben aussondern.“
Das größte Plus der Vollernter bleibt aber die Schnelligkeit. Wenn das Wetter die Handlese erschwert und dem Winzer die Zeit davonläu , wird von Hand vorgelesen – und die Maschine erledigt dann im Nu den Rest. Manchmal ö net sich auch das Erntefenster sehr plötzlich. Eis- wein z. B. muss gelesen werden, sobald die Tempe- ratur erstmals unter –7 °C fällt. Dann müssen
die Trauben von den Reben, solange sie gefroren sind. Im Extremfall bleiben dem Winzer dafür nur drei bis sechs Stunden Zeit.
Die seltsam schmale Gestalt der Vollernter erklärt sich aus dem geringen Abstand zwischen den Rebstockreihen. Diese „Gassen“, wie man
sie in Rheinhessen nennt, sind nur etwa 2 m breit. Entsprechend müssen auch die Traktoren für den Weinberg gebaut sein. Diese Schmalspurschlepper übernehmen immer mehr Arbeiten, die früher von Hand erledigt wurden, dafür gibt es heute unzäh- lige Anbauteile. Entsprechend sind auch die Bean- spruchungen an das Gerät gestiegen.
Die Markentreue in der Landwirtscha  kann Schembs bestätigen, er begründet sie aber pragma- tisch: „Ich kaufe die Marke, die mein Landmaschi- nenschlosser am besten reparieren kann.“ Und natürlich spielt auch der Preis eine große Rolle. Ein Traubenvollernter kostet zwischen 300.000 € und 800.000 € – und wird nur vier Wochen im Jahr ge- fahren. So werden diese Landmaschinen auch überwiegend von Lohnunternehmen angescha  und betrieben. Auch Schembs mietet nur.
Für seine besten Weine verzichtet er dagegen ganz auf Maschinen – sogar auf Pressen und Pumpen. Seine „Schlossabfüllung“ wird mit Füßen gequetscht und rei  im Keller des Herrnsheimer Schlosses. Hier landen nur die besten Jahrgänge, der letzte stammt von 2011, den 2009er bewertete der Weinführer „Eichelmann 2013“ als „beste weiße Cuvée Deutschlands“. Wurde der von einer Maschine gelesen? Der Winzer lächelt: „Der 2022er wird es bestimmt.“
Oben: Schmalspurschlepper mit Mulcher und einer seitlichen Scheibe, die an einen Dosenö ner erinnert: Diese sogenannte Rust- Rollhacke lockert den Boden zwischen den Rebstöcken auf. Links: Weißwein wird am besten in solchen Metall- tanks – Arno Schembs in seinem Weinkeller
Wellblech im Weinberg: Auch dieser historische Citroën-Transporter (Baujahr 1974) gehört zum erweiterten Landmaschinen-Fuhrpark des Winzers. Im Hintergrund das Schloss Herrnsheim, in dessen Keller die ohne Maschinen gekelterten Château-Weine reifen. Info: www.chateau-schembs.de
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