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Page 8 - STIL 03 2018
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 Die neue Mobilität
durch die Eisenbahn sowie mächtige Stahlbauten trieben die Stahlproduk­ tion voran: der Bahnhof in Liverpool um 1910
bearbeiteten es die frühen europäischen Schmiede am Amboss mit dem Hammer, um die Verun- reinigungen auszutreiben. Viele wussten um das Geheimnis der Stahlherstellung und hüteten es:
Sie hatten gelernt, dass ein Schwert härter und stabiler wurde, wenn sie es erneut erhitzten und kurz danach in Wasser oder Öl abkühlten, ohne
zu ahnen, was wir heute wissen: dass Stahl durch Aufkohlen und Abschrecken an Festigkeit gewinnt. Das Schmieden ist deshalb eher eine Kunst als ein Handwerk. Das Volk glaubte an übernatürliche Kräfte – und an entsprechende Mythen.
Eine schöne Geschichte hierzu erzählen mehrere nordische Sagen über Wieland den Schmied. Er schuf das Schwert Mimung, das er dreimal schmie- dete. Dabei zerstörte er die Klinge zweimal wieder und mischte die Eisenspäne unter das Futter seiner Gänse. Aus dem Gänsekot schmolz er das Material für den zweiten und dritten Schmiedevorgang,
bis Mimung so hart und scharf war, dass es einen Büschel Wolle zerschnitt, der in einem Bach gegen die Schwertklinge trieb. Der seltsame Vorgang klingt nach heutigem Wissensstand plausibel:
Der Stickstoff aus dem Gänsekot hatte den Stahl gehärtet.
Wieland wusste nicht genau, was er tat, aber
es war das Richtige. Über Jahrhunderte blieb die Stahlherstellung ein intuitiver und geplanter, aber keineswegs vollständig begriffener Vorgang. Daran änderten auch verbesserte Verfahren nichts, bei denen zum Beispiel der Schmiedehammer und die
Blasebälge durch Wasserräder angetrieben wurden. Mitte des 14. Jahrhunderts lernte man, dem Roh- eisen Kohlenstoff, Phosphor und Schwefel zu ent- ziehen („frischen“), um es schmiedbar zu machen. Der hohe Schwefelgehalt war auf die Steinkohle zurückzuführen, mit denen die Öfen zunehmend anstelle der Holzkohle befeuert wurden. Hilfe kam von den Bierbrauern, die Koks erfanden, weil die Holzkohle beim Dörren des Malzes einen üblen Geschmack hinterließ. Der stark kohlenstoffhaltige Brennstoff, der auch weniger raucht und rußt als Kohle, wird bis heute zum Befeuern der Hochöfen und als Reduktionsmittel verwendet.
Der lange und mühsame Weg zur Produktion von Qualitätsstahl
Man erzeugte also Stahl, ohne den Prozess wirk- lich zu verstehen und zu beherrschen, was in einem seltsamen Kontrast zu der Vielseitigkeit und Verbreitung und der immer weiter wachsenden Bedeutung des Werkstoffes für den Fortschritt steht. Immerhin erkannte man im späten 18. Jahr- hundert, dass die Härte und Qualität des Stahls vom Anteil des Kohlenstoffes abhängt. Das half aber niemandem weiter, solange man die Produk- tionsprozesse nicht entsprechend steuern konnte.
Mit der beginnenden Industrialisierung wurde die Frage immer dringlicher. Stählerne Dampfma- schinen steigerten die wirtschaftliche Produktion sprunghaft. Die Eisenbahn bescherte der Mobilität
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Foto:adobestock© Archivist



















































































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