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Page 33 - Best of STIL 2018 Deutsch
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Und auch heute gliedern Historiker den späteren Abschnitt des „Nacheiszeitalters“ (Holozän) in
die Phasen der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit.
Ein ganzes Menschenzeitalter ist also nach dem Material benannt, aus dem Stahl gemacht ist – und streng genommen leben wir noch heute in dieser Epoche. Eisen und Stahl beschleunigten den Fort- schritt und wurden zum Synonym für den höheren Entwicklungsstand einer Zivilisation, für deren Entwicklung sie folglich von extremer Bedeutung waren. Und dies nicht nur in grauer Vorzeit, son- dern im Zuge der Industrialisierung vermehrt seit dem 18. und 19. Jahrhundert.
Die Entwicklung verlief aber nicht überall gleichzeitig und auch nicht gleich schnell. Die Chinesen lernten schon vor 2.500 Jahren, Eisen zu schmelzen und zu gießen – und somit den Eisen- guss 2.000 Jahre früher als die Europäer. In Indien steht der 1.600 Jahre alte Qutub-Obelisk, der den Forschern bis heute Rätsel aufgibt: Er will einfach nicht rosten. Die mehr als sieben Meter hohe und sechseinhalb Tonnen schwere Eisensäule wurde aus fast reinem Eisen geschmiedet und ist von einer Schutzschicht ummantelt, die jede Korrosion verhindert. Wie der Rostschutz entstand und ob dies absichtlich oder zufällig geschah, ist unklar. Unzweifelhaft ist der hohe Anteil an Phosphor
im Eisen der Säule, der mit dem Sauerstoff der Luft und der Luftfeuchtigkeit reagiert und so die Korrosion verhindert haben könnte. Allein die Größe und Fertigung der Säule belegen die Kunst- fertigkeit der Inder in der Eisengewinnung und -verarbeitung – die Säule wurde offenkundig aus mehreren Luppen zusammengeschmiedet.
Stahl entstand als Zufallsprodukt durch die Holzkohle im Rennofen
In Mesopotamien wird seit 5.000 Jahren Eisen verhüttet, in Europa erst seit ca. 2.700 Jahren. Seit damals ist das Verfahren des Rennofens bekannt: Mithilfe von Holz oder Holzkohle wurde in einem Lehm- oder Steinofen zerkleinertes Eisenerz erhitzt. Das alt- und mittelhochdeutsche Wort „rennen“ bedeutete so viel wie „flüssig machen“ und ist heute noch im Wort „rinnen“ präsent. Ein schmiedbarer Stahl unterschiedlichen Kohlen- stoffgehalts entstand, wenn sich durch die Holz- kohle im Rennofen das Eisen mit Kohlenstoff verband.
Bekannt war Stahl schon lange, zum Beispiel wurde er von den Hethitern in Kleinasien nach 1.500 v. Chr benutzt. Auch in vielen Kulturen in Westafrika verstand man es, kohlenstoffreichen Stahl zu produzieren. In den Mythen der Buha- ya, einem Volk, das auf dem Gebiet des heutigen Tansanias lebte, finden sich ebenfalls Hinweise auf einen Eisengebrauch vor unserer Zeitrechnung.
Das Metall wurde unverzichtbar für die Moder- nisierung und den Ausbau einer Zivilisation – und für erfolgreiche Feldzüge. Eine römische Legion benötigte mehr als 30 t Roheisen, um jeden der 3.000 bis 6.000 Soldaten mit Helm, Rüstung und einem Gladius auszurüsten. Dieses Kurzschwert
Mehrere nordische Sagen erzählen die Geschichte von Wieland dem Schmied. In den meisten davon heißt es, er habe sein Handwerk bei Zwergen gelernt
 erwies sich als überlegene Waffe. Der griechische Historiker Polybios schildert die Kämpfe der Römer im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. in Gallien und berichtet, dass die gallischen Krieger nach je- dem Hieb ihre Schwerter immer erst gerade biegen mussten, bevor sie wieder kampfbereit waren.
Nicht nur auf dem Schlachtfeld, auch für die Rodung der Wälder und den Ackerbau lieferte
die Eisenverhüttung Werkzeuge, die härter waren als ihre Vorgänger aus Kupfer oder Bronze. Das Bau- und Transportwesen profitierte in gleichem Maße – durch Nägel, Speichenräder, Hufeisen, Meißel für den Steinbruch und vieles andere mehr.
Weil das reduzierte Eisen aus den Rennöfen von Schlacke behaftet war und Einschlüsse aufwies,
Hammer, Amboss und Zange sind seit vielen Jahrhunderten die klassischen Werkzeuge eines Schmiedes
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Fotos: alamy, adobestock© Volodymyr Kaushan


















































































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