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Page 11 - STIL 01 2019
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Vor einigen Wochen wunderten sich Zei- tungsleser über eine seltsame Schlag- zeile: „Neue größte Primzahl entdeckt!“. Da dachte der Laie: Wieso kann man
eine Zahl entdecken, als wäre sie ein nie betrete- ner Kontinent oder eine unbekannte Spezies? Der humorbegabte Mathematiker antwortet: Weil die Zahl so groß ist, dass man in ihr ein Leben lang in Lichtgeschwindigkeit herumreisen könnte. Wollte man sie aufschreiben, bräuchte man sehr viel Papier – sie besteht aus vier- bis sechsmal so vielen Stellen, wie das Werk William Shakespeares an Buchstaben enthält: 24 Millionen.
Zahlen können ein Abenteuer sein. Nicht nur für jene Forscher, die im Dschungel der Mathema- tik nach Primzahlenmonstern Ausschau halten, sondern auch für jene Wissenschaftler, die das Zahlenverständnis der Menschen ergründen. Ihre Erkenntnisse sind nicht minder verblüffend als der bizarre Primzahlenfund.
Sie stellten zum Beispiel fest: Intuitiv empfinden wir Mengen nicht so, wie es rechnerisch korrekt wäre. Tief in unserem Inneren denken wir nämlich logarithmisch, was bedeutet: Wir nehmen den Unterschied zwischen 2 und 3 als größer wahr als den Unterschied zwischen 8 und 9 (siehe nächste Seite), obwohl er in beiden Fällen 1 beträgt. Ganz abwegig ist das auch nicht, denn der Schritt von
2 zu 3 bedeutet eine Steigerung um 50 % (Faktor 1,5), von 8 zu 9 aber nur ein Plus von 12,5 % oder anders gesagt: Der Faktor zwischen 2 und 3 (1,5) ist größer als der zwischen 8 und 9 (1,125).
Unser Geist funktioniert anders als ein Taschen- rechner. Menschen – und übrigens auch Tiere – erfassen Mengen bis zu 4 Stück sofort, weil dies wohl früher zum Überleben genügte. Angeblich sollen sich Indianer beim Anschleichen hinter ihren Pferden versteckt haben, weil Beutetiere nicht zwischen vier und sechs Beinen unterschei- den können. Ab der 5 beginnt das Schätzen bzw. – und das ist eine menschliche Kulturleistung – das Rechnen.
Dies spiegelt sich auch in unserer Sprache wider. Einige Naturvölker kennen nur zwei Wörter für Zahlen: „eins“ und „viele“. Andere können die Zahlen 1 bis 4 mit Wörtern benennen, ab 5 ist für sie alles „mehrere“. Selbst das Deutsche kann nur bis 12 zählen, danach drücken unsere Zahlwörter Berechnungen aus: Schon die „Dreizehn“ formu- liert die Addition von 3 und 10, die „Einhundert- siebenundneunzig“ addiert 100 + 7 + 90.
Sieht man von den Sonderfällen „hundert“, tau- send“, „Million“ („große Tausend“ = 1000 × 1000 bzw. 10002), „Milliarde“ (10003), „Billion“ (10004) etc. ab, begnügen wir uns im Deutschen mit Ad- ditionen. Verrückter treiben es u. a. die Chinesen und Franzosen, die in ihren Zahlwörtern Addi- tion und Multiplikation kombinieren und dabei auch noch die Regel „Punkt- vor Strichrechnung“ anwenden. So setzt sich das französische Wort für die Zahl 197 wie folgt zusammen: 100 + 4 × 20
+ 10 + 7: „cent quatre-vingt-dix-sept“. Mondieu! Die Sprache entwickelte sich über Jahrhunderte
– das Wort Million zum Beispiel erhielt erst im
Der altägyptische Papyrus Rhind
gilt als eine der ältesten bekannten mathematischen Abhandlungen. Das ca. 3.500 Jahre alte Schriftstück enthält Betrachtungen zu Arithmetik, Algebra, Geometrie, Trigo- nometrie und Bruchrechnung
   Über Jahrhunderte und bis in die 1970er-Jahre diente der Rechenschieber als Hilfsmittel für Berechnungen. Die Skalen waren präzise genug, um ins All und zum Mond zu fliegen. Der Astronaut Buzz Aldrin nutzte die Rechenhilfe u. a. 1966 in der Gemini-Raumkapsel
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Fotos: NASA, Wikipedia




















































































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