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Page 26 - STIL 3 2019
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Andere Betrachter empfanden beim Anblick der 7.500 t Stahl ein Unbehagen, das sich auch in der Presse schon während der Bauzeit in Protesten geäußert hatte. Paris werde verschandelt durch ein monströses, sinnloses Bauwerk, lautete die Anklage. Die offene Bauweise ohne Fassade, die das technische Element der Konstruktion frivol zur Schau stellte, wurde von bürgerlichen Kreise als unästhetisch, wenn nicht gar als obszön emp- funden. Auch Frankreichs Künstler waren auf den Barrikaden. Sie interpretierten den „hässlichen Eisenmast“ als einen Gegenentwurf zu ihrem traditionellen Kunstverständnis. Oben-
drein sahen einige technisch Versierte in dem Turmbau eine Fehlleistung bib- lischen Ausmaßes. Sie misstrauten der Konstruktion, die allein schon wegen ihrer Größe und ihres Gewichts in sich zusammenfallen müsste – so wie einst der Turm zu Babel.
Alle Warnungen und alles Lamentieren verstummten nach der Eröffnung jedoch rasch und machten Platz für Bewunderung, Faszination und nationalen Stolz. Fast zwei Millionen Besu- cher zahlten im Eröffnungsjahr 1889 die gestaf- felt zwei bis fünf Francs Eintritt, die jeweils der Zugang zu einer der drei Etagen kostete – ein An- drang, der erst 1963 übertroffen werden konnte.
Das Ausland beneidete Frankreich um seine Attraktion und schmiedete Pläne für eigene Pres- tigebauten. In den englischen Städten Blackpool und Wallasey entstanden noch in den 1890er- Jahren 158 und 173 m hohe Stahltürme. Da durfte London nicht hinten anstehen, doch schrieb die britische Metropole das vielleicht skurrilste Kapitel in der Geschichte der Eiffelturm-Nachbauten.
Im dortigen Wembley Park begann 1892/93 der Bau des Watkin’s Tower, der nach seinem Initia- tor Edward Watkin benannt war und mit 350 m Höhe den Eiffelturm klar übertreffen sollte. Doch höher als 47 m kam Watkin nie. Seine Gesellschaft ging 1899 pleite, er starb 1901, und 1904 bis 1907 wurde die Bauruine abgerissen. Wenigstens das Grundstück kam noch zu Weltruhm: Es gibt ein
Boule-Kugel-Produktion in der Manufaktur „La boule bleue“ in Marseille
Foto, auf dem noch die Reste der Turmfundamente, aber auch schon
die Grundrisse der Ränge des Wembley Stadium zu sehen sind, das hier anstelle des Turms errichtet wurde.
Um den echten Eiffelturm stand es zu dieser Zeit auch nicht gut. Das Bauwerk, das ursprünglich nur bis 1909 stehen bleiben sollte, war in den 20er- Jahren so heruntergekommen, dass die Stadtväter den Abriss erwogen und es dem Trickbetrüger Victor Lustig gelang, die mehr als 7.000 t Stahl des Eiffelturms – angeblich im Namen der Stadt – an einen Schrotthändler zu verkaufen.
Es dauerte lange, bis das Bauwerk seinen heuti- gen Stellenwert errang. Erst seit 1964 steht es unter Denkmalschutz, seit 1980 ist es als Kulturerbe der UNESCO anerkannt. Und regelmäßig braucht
es neue Anstriche, weswegen der Turm schon mehrfach seine Farbe wechselte. Zur Fertigstellung erstrahlte er in einem leicht bräunlichen Rot, zur- zeit ist er in einem hellen Ockerton gestrichen, auf dem der Rost seit dem letzten Anstrich 2009 aber schon viele dunkelbraune Spuren hinterlassen hat. Jedes Mal werden auf die 2,5 Mio. m2 Oberfläche 60 t Lack aufgetragen – von 25 Männern, die hier-
   Eiffelturm mit Hut – und ein paar andere Kopien sowie Nachbauten auf der ganzen Welt
          Hangzhou (China) Höhe: 108 m
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Paris, Texas (USA) Höhe: 20 m
Funkturm Berlin Höhe: 150 m
Lahore (Pakistan) Höhe: 80 m
Las Vegas (USA) Höhe: 165 m
Fotos: adobestock © thanamat, © Jean-Paul Pelissier / REUTERS
















































































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