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Page 7 - STIL 1 2021
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  diese Belastungen – fröhlich in die EU einlie-
fern. Deshalb sind verlässliche Regeln nötig, um die heimische Industrie vor Carbon Leakage zu schützen. Die bestehenden Carbon-Leakage- Schutzinstrumente – kostenfreie Zuteilung und Strompreiskompensation – müssen folglich lang- fristig erhalten bleiben. Manche bringen ergänzend einen Grenzausgleichsmechanismus ins Spiel, um die kontinuierlich steigende CO2-Kostendifferenz zum außereuropäischen Raum auszugleichen. Das wäre sicher hilfreich; freilich fehlt mir ein wenig der Glaube, dass die EU-Kommission ausgerechnet bei diesem WTO-relevanten Thema Standhaftig- keit zeigen könnte. Ohne effektive Maßnahmen gegen unfaire Handelspraktiken – und dazu zählt auch „Klimadumping“ – kann die Transformation jedenfalls nicht gelingen. Dann droht Dekarboni- sierung durch Deindustrialisierung.
(Anmerkung der Redaktion: Carbon-Leakage bezeichnet insbesondere im Rahmen des EU- Emissionshandelssystems die Verlagerung von CO2-Emissionen in Drittstaaten.)
STIL: Erwarten Sie von der neuen US-amerikani- schen Regierung ein anderes Vorgehen in diesem Politikfeld?
Prof. Fuhrmann: Mit dem Wechsel der US-Regie- rung scheint der Ton wieder moderater zu werden. In der Sache wird es wohl keine wesentlichen Änderungen geben, das sagt uns die langjährige Erfahrung. Aber die USA sind beileibe nicht das einzige Land, das im internationalen Handel „mit harten Bandagen“ operiert. Eine ihrer Dimensi-
on angemessene Durchsetzungsstärke der EU ist deshalb notwendig. Voraussetzung ist, dass sich gerade die großen Mitgliedsstaaten nicht ständig wegen kurzfristig-opportunistischer Ränkespiele in strategischen Themen widersprechen.
An dieser Stelle passt ein klares Wort zum The- ma Erdgas: Stellt man kohlebasierte Prozesse wie die integrierte Stahlerzeugung auf Erdgas um, ver- mindert sich deren CO2-Ausstoß schon um zwei Drittel! In Anbetracht der sicher noch 20 Jahre andauernden Knappheit regenerativen Stroms und – daraus folgend – grünen Wasserstoffs kommen wir gerade in Deutschland und der EU überhaupt nicht daran vorbei, den Einsatz preislich wettbe-
werbsfähigen, verlässlich lieferbaren Erdgases zu forcieren. Dieses ist eher via Pipelines auch aus Russland als via LNG — Stichworte energieintensi- ve Verflüssigung und Fracking — zu bewerkstelli- gen. Das ist Fakt und nicht Meinung.
STIL: Während der letzten Monate wurde von bestimmten Interessengruppen immer wieder die Gründung einer „Deutschen Stahl AG“ propagiert. Wie bewerten Sie diese öffentlichen Diskussionen? Prof. Fuhrmann: Welche der oben beschriebenen Herausforderungen ließe sich mit mehr Stahlkapa- zität besser bewältigen? Womit würde der Salz- gitter AG, ihren Mitarbeitern, Anteilseignern und Kunden mittels eines solchen Konstrukts ein grö- ßerer Mehrwert erwachsen? Diese Fragen sind ent- scheidend. Wir sehen aktuell keine Konstellation, die unsere Situation im Vergleich zur Eigenstän- digkeit verbessern würde. Das schließt keineswegs aus, dass wir Konzepten für eine Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen dann aufgeschlossen gegenüberstehen, wenn diese geeignet sind, dem Konzern, seinen Mitarbeitern und Aktionären perspektivische Vorteile zu bieten. Genau diesen Standpunkt haben wir schon oft formuliert.
Der Salzgitter-Konzern hat selbst in dieser turbulenten Zeit keinen Anlass für kurzfristigen Aktionismus und steht unter keinerlei Druck, von welcher Seite auch immer. Und wir sind nicht dazu bestimmt, die Probleme anderer Unternehmen zu lösen. In dieser Position befinden wir uns in en- gem Schulterschluss mit dem Hauptaktionär Land Niedersachsen, dessen politische Führungskräfte, gleich welcher Regierungspartei, sich seit jeher eindeutig positioniert haben.
In den zurückliegenden 23 Jahren, seit der Erlangung der Eigenständigkeit 1998, haben wir zusammen eine ganze Menge geleistet: Umsatz nahezu verdreifacht, Mitarbeiterzahl verdoppelt, Eigenkapital des Konzerns mehr als vervierfacht – ohne jede Kapitalzufuhr von außen! Wir haben das alles selbst verdient. Wir können also konstatie- ren, dass die von uns verfolgte Diversifikation mit Augenmaß in Verbindung mit einer auf langfris- tigen Erfolg ausgerichteten Unternehmenspolitik ganz offensichtlich den richtigen Weg für uns beschrieben hat.
Links: Dr. Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, interessierte
sich für SALCOS.
Rechts: Infobesuch von Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen (2. v. l.), bei der Salzgitter AG. Gesprächspartner waren Prof. Fuhrmann, Dr. Jens Traupe, Leiter Umweltschutz- und Energiepolitik, Sandrina Sieverdingbeck, Leiterin Konzernstrategie, und Alexander Heck, Leiter Corporate Affairs (v. l.)
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Fotos: Carsten Brand



















































































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