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Page 20 - STIL 2 2021
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  TITELGESCHICHTE
Mit Wasserstoff zum grünen Stahl Die ersten Schritte zu neuen Produktionsverfahren in der Stahlindustrie
erfoE
rdern schon jetzt viel Erfindungsreichtum und Pioniergeist
s geschieht nicht alle Tage, dass sich eine Branche quasi neu erfin- det. Doch die globalen Klimaziele erfordern von einigen Industrien
genau dies – weil die Anstrengungen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes für sie neue Rahmenbedingungen definieren. So produziert
die Automobilbranche künftig vermehrt Elektro- fahrzeuge. Die Stahlindustrie wiederum treibt die Dekarbonisierung ihrer Produktionsverfahren voran; schließlich verursacht der Sektor Eisen und Stahl circa 30 % der industriellen CO2-Emissionen in Deutschland.
Die Stahlindustrie hat den Wandel hin zum grünen Stahl aus eigener Initiative eingeleitet. Anfangs schienen sich hierfür mehrere Lösungs- ansätze anzubieten. Überlegt wurde, das bei der klassischen Rohstahlproduktion prozessbedingt frei werdende CO2 im Erdboden einzulagern
oder es chemisch umzuwandeln beziehungsweise zu anderen Stoffen zu verarbeiten. Doch relativ schnell zeichnete sich eine andere Lösung als der nachhaltigere Weg ab, den die Salzgitter AG schon
gleich zu Anfang mit dem Projekt SALCOS® – SAlzgitter Low CO2 Steelmaking beschritten hat: Wird die Freisetzung der Treibhausgase vermieden, muss niemand über ihre Entsorgung nachdenken. Statt Lösungen für ein Problem zu suchen, das Problem gar nicht erst entstehen zu lassen, ist ein eleganter wie sinnvoller Ansatz.
Strukturelle Veränderungen nötig
Die Technologie hierfür existiert mit der Direkt- reduktion bereits und muss nicht mehr erfunden werden. Verkürzt gesagt, löst dieses Verfahren in der Rohstahlerzeugung das Eisen aus dem Erz nicht durch den Einsatz von Kohle, sondern unter Zuhilfenahme von Wasserstoff. Dieser wiederum stammt aus Erdgas oder wird mittels Elektrolyse aus Wasser gewonnen. Direktreduktionsanlagen sind bereits in Ländern in Betrieb, in denen Erd- gas günstig verfügbar ist.
Die Pioniertat liegt daher nicht in der Entwick- lung des grundsätzlichen technischen Verfahrens
für die künftige Stahlproduktion, sondern in
der Integration einer solchen Verfahrensroute
in ein bestehendes Hüttenwerk, der Verwen- dung von großen Anteilen an Wasserstoff in der Direktreduktionsanlage und im Aufbau einer klimaneutralen Wasserstoffwirtschaft sowie einer Anbindung der Industrie an die Energiewirtschaft – auch bezeichnet als Sektorkopplung. Denn Was- serstoff kann in der Rohstahlerzeugung den fos- silen Energieträger Kohle nur dann klimaneutral ersetzen, wenn für die Elektrolysen ausreichend Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht. Die Windkraftanlagen, die in den letzten Monaten in und am Hüttenwerk der Salzgitter Flachstahl GmbH aufgestellt wurden, veranschau- lichen diesen Wandel schon jetzt. Die Realisie- rung des Projekts „Windwasserstoff Salzgitter
– WindH2“ kam auch in anderer Hinsicht einer Pionierleistung gleich. Denn die Genehmigung eines Windparks an einem Industriestandort, der der Störfallverordnung unterliegt, stellte an die Projektleitung hohe Anforderungen und bedurfte besonderer Vorkehrungen. Dementsprechend gilt der Windpark heute als Referenzprojekt mit „Leuchtturm“-Wirkung. Er ist die erste industri- elle Sektorkopplung in Deutschland.
Vielfältige Aufgaben für den Wandel
Neben vielen regulativen Anpassungen erfordern die Sektorkopplung und der Aufbau einer Wasser- stoffwirtschaft im Detail viele neue technische Lösungen – für effiziente Elektrolyseverfahren ebenso wie für die Transport- und die Lagerinfra- struktur des Wasserstoffs.
Die nötige nationale Verteilungsinfrastruk-
tur für den Wasserstoff ist ein weiteres Feld für Innovationen. Das in Deutschland gut ausgebaute Erdgas-Fernleitungsnetz wird hinsichtlich seiner Eignung für den Wasserstofftransport ebenso geprüft wie der Bedarf für den Um- oder Zubau von Wasserstoffleitungen. Welche Material- eigenschaften die Stahlrohre hierfür und für die Lagerung des Wasserstoffs aufweisen müssen, das untersuchen unter anderem die Experten der Salz- gitter Mannesmann Forschung (siehe Seite 18).
Die besonderen chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wasserstoffs erfordern zudem neue Überwachungsverfahren, um die Sicherheit der Anlagen für Erzeugung, Transport, Spei- cherung und Verwendung des Wasserstoffs auf hohem Niveau zu gewährleisten. Hierfür werden
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