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Page 17 - STIL 012 2019
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Zu Beginn der Reise stülpt ein Kran eine Schutzhaube aus Edelstahl über den Coilstapel. Dann flutet Stickstoff den Innenraum, um jeden Rest Sauerstoff wegzuspülen. Anschließend wird über die Schutzhaube eine größere Heizhaube gesetzt. Jetzt zünden zwölf Erdgasbrenner, die den Raum zwischen den beiden Hauben aufheizen.
Im gleichen Moment strömt Wasserstoff in die Schutzhaube und verdrängt dort den Stickstoff. Da die Wasserstoffmoleküle sehr klein sind, gelangen sie selbst in den aufgehaspelten Coils zwischen die Stahlblechwicklungen.
In der Schutzhaube erfüllt Wasserstoff zwei Auf- gaben, die Dr. Jürgen Spehr, Betriebsleiter Glüherei und Dressierstraße so erklärt: „Es ist erstens ein hervorragender Wärmeleiter und führt die Hitze aus der äußeren Heizhaube entsprechend gut zum Coilstapel. Zweitens beseitigt es die Walzöle, die noch auf dem Material haften. Sie verbrennen bei 200 bis 500 °C – die Temperatur in der Glühhaube liegt zwischen 670 und 720 °C.“
Das Volumen im Prozessraum der Schutzhaube beträgt 30 m3. Da durchlaufend Wasserstoff nach- gespült wird, um alle Ölrückstände zu verbrennen, werden pro Glühvorgang etwa 290 m3 des Gases benötigt. Der abgesaugte Wasserstoff wird ver- brannt und heizt den gesamten Prozess mit an. Die Hitze wird 6 bis 35 Stunden lang gehalten, dann ersetzt eine Abkühlhaube die Heizhaube, und Luft sowie Wasser kühlen das Innere. Nach ca. 18 Stun- den wird der Wasserstoff durch Stickstoff ersetzt.
Jede Glühreise ist durch einen „Glühschlüssel“ definiert. In ihm sind Glühtemperatur, Aufheiz-, Halte- und Abkühlzeit sowie der Wasserstoffver- brauch festgelegt. Die Parameter variieren je nach Stahlgüte sowie Größe und Gewicht der Coils. Derzeit sind etwa 25 verschiedene Glühschlüssel festgelegt. Das Verfahren wird seit den 60er-Jahren angewendet und ist seitdem weiter optimiert wor- den. Anfangs nutzte man hierfür ein Gasgemisch mit einem Wasserstoffanteil von 5 bis 8 %, erst seit 1987 wird fast 100 % reiner Wasserstoff verwendet.
Wasserstoff in der Feuerverzinkung
Nach dem Glühen können die Bleche verzinkt werden – und auch bei diesem Prozess spielt Wasserstoff eine wichtige Rolle. Salzgitter Flach- stahl betreibt zwei Feuerverzinkungsanlagen. Die Feuerverzinkung 2 gilt als die komplexeste Anlage überhaupt im Bereich Kaltflach. Sie vereinigt mehrere Prozessschritte und erledigt auch das Glühen gleich mit, sodass hier keine Coils aus der Haubenglüherei verarbeitet werden.
Die Feuerverzinkung 2 ist eine mächtige, imponierende Anlage und mehr als 50 m hoch. Alle Prozesse laufen voll automatisch, nur wenige Mitarbeiter kontrollieren die Abläufe. Im Gegen- satz zur Glüherei werden hier die Coils zu Prozess- beginn abgehaspelt, eingefädelt und an das Ende des vorherigen Coils angeschweißt. So entsteht ein endloses Band, das am Ende wieder getrennt wird. Die schematische Darstellung der gesamten Anla- ge erinnert ein wenig an einen alten Filmprojektor,
in dem der Zelluloidstreifen eingelegt, über viele Rollen und Spulen mal nach oben, mal nach unten geführt und am Ende wieder aufgewickelt wird.
In der Feuerverzinkung 2 wird das Stahlband zunächst in mehreren Stufen vorgereinigt und dann im Ofen bei 690 bis 890 °C geglüht. Der Durchlauf durch den Ofen dauert maximal zehn Minuten. Nach einer ersten Abkühlung auf 210 °C wird das laufende Band im Induktionsofen wieder auf 450 °C erhitzt und über eine geschlossene Zu- führung in das ca. 420 °C heiße Zinkbad getaucht.
Das Gehäuse der Zuführung ist mit einer Mi- schung aus Stick- und Wasserstoff gefüllt. Denn kommt Stahl mit Luft in Berührung, oxidiert er sofort. Folglich liegt eine dünne Schicht Eisenoxid auf dem Band, die vor der Verzinkung entfernt werden muss. „Das erledigt der Wasserstoff. Er reagiert mit dem Sauerstoff aus dem Eisenoxid
zu Wasser“, erklärt Dr. Frank Barcikowski, Be- triebsleiter Feuerverzinkung 2, den Vorgang. Das geschieht bei einer Temperatur von mindestens 500 °C und nur so lange, bis die Atmosphäre in der Zuführung eine maximale Feuchtigkeit erlangt hat. Daher wird sie regelmäßig ersetzt – pro Stunde werden so 1000 m3 des Gasgemischs ausgetauscht, das in der Feuerverzinkung 2 zu 5 % aus Wasser- stoff besteht. Damit durch Undichtigkeit keine Luft ins Innere dringen kann, wird in der Zuführung ein Überdruck erzeugt. Ihr Ausgang liegt direkt im Zinkbad, so kommt der Stahl nicht mehr mit Luft in Berührung und kann nicht erneut oxidieren.
Wasserstoff spielt also kurz vor dem wichtigen Moment der eigentlichen Verzinkung eine ent- scheidende Rolle und trägt damit zur Qualität feuerverzinkter Bleche, die vor allem für die Auto- mobilindustrie wichtig sind, maßgeblich bei. Dabei ist ein kleiner Nebenaspekt besonders zukunfts- weisend: In der Feuerverzinkungsanlage 2 kommt schon die kleine Menge jenes Wasserstoffs zum Einsatz, der in der GrInHy-Versuchsanlage (siehe Seite 10) auf dem Hüttengelände erzeugt wird.
Alexander Georgiew, Produktionsleiter Feinblech verzinkt, Dr. Frank Barcikowski, Betriebsleiter Feuerverzinkung 2, und
Dr. Michael Brühl, Betriebsleiter Bereich Kaltflach (v. l.).
Im Hintergrund ist die Feuerverzinkungsanlage 2 zu sehen
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