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Page 18 - STIL 3 2021
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 TITELGESCHICHTE
Neue Nieten für einen alten Schiffsrumpf Bei der Reparatur des historischen Eisbrechers „Stettin“ war ein seltenes Handwerk gefragt
 Die „Stettin“ ist das größte erhaltene kohlebefeuerte und seegehende Dampfschiff der Welt und der letzte Eisbrecher, der weitgehend noch im
Original erhalten ist. Fertiggestellt 1933 in den Stettiner Oderwerken, sicherte er in den kalten Wintern die Zufahrt über das Stettiner Haff in den Hafen und hielt die Fahrrinne der Oder sowie nach 1945 der Elbe passierbar.
Als die „Stettin“ 1981 abgewrackt werden sollte, gründete sich ein Förderverein, kaufte für 70.000 DM das Dampfschiff und rettete es so vor der Verschrottung. Seit 1982 ist es als technisches Kul- turdenkmal anerkannt. An seinem angestammten Liegeplatz am Anleger Neumühlen beim Muse- umshafen Oevelgönne werden regelmäßig die Kessel eingeheizt für Fahrten nach Kiel, Flensburg oder zur Hanse Sail in Rostock. So auch 2017, als die rückwärts fahrende finnische Fähre „Finnsky“ mit dem Traditionsschiff zusammenstieß. Die Havarie verursachte auf der Steuerbordseite einen zwei Meter langen Riss im Rumpf – zum Glück über der Wasserlinie. So konnte das Leck notdürf- tig mit einer aufgeschweißten Stahlplatte abgedich- tet werden und die Stettin aus eigener Kraft nach Hamburg zurückkehren.
Erst mehr als zwei Jahre später kam die „Stettin“ im Mai 2020 für die Reparatur des Schadens und vieler anderer nötiger Wartungsarbeiten in das Dock der Hamburger Norderwerft/Lürssen. Deren
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Spezialisten sind auch für schwierige Fälle qua- lifiziert, dennoch war dieser Auftrag für sie eine Herausforderung. Denn um den Orginalzustand des alten Dampf-Eisbrechers zu bewahren – eine Auflage der Kulturbehörde –, mussten die neu einzusetzenden Stahlplatten wie vor 80 Jahren ge- nietet werden. Ein Handwerk, das heute nur noch von wenigen Experten beherrscht wird. Diese
fand die Werft bei einer Spezialfirma aus Polen, die in Hamburg und Berlin schon viele alte genietete Brücken reparierte.
Zunächst brannten die Arbeiter die alten Niet- Verbindungen heraus, um die beschädigten Stahl- platten vom Rumpf entfernen zu können. Danach wurden erst mal die verbogenen Spanten gerichtet oder ausgetauscht und in die neuen Bleche Löcher für die neuen Nieten gebohrt. Dann wurden die Nieten rot glühend erhitzt und möglichst schnell von innen in die Bohrungen gesteckt, damit sie sich passgenau mit dem Blech verbinden können. Danach wurde an der Außenseite der Überstand mit einem Druckluftniethammer geformt und gleichzeitig aus dem Schiffsinneren mit einem entsprechenden Werkzeug gegengehalten. Als
die Nieten sich abkühlten, schrumpften sie und pressten das Blech so stark auf die Spanten, dass zwischen beiden Stahlelementen eine wasserdichte Verbindung entstand. Nach sechs Wochen waren alle Arbeiten abgeschlossen und von der Havarie war nach der Lackierung nichts mehr zu sehen.
Trockengelegt und bereit für die Reparaturarbeiten: die „Stettin“ in der Hamburger Norderwerft/Lürssen
 Die „Stettin“
Baujahr:
Länge:
Breite:
Verdrängung:
Tiefgang:
Dampfmaschine:
Tempo: 14 kn (7,4 km/h)
Weitere Infos: www.dampf- eisbrecher-stettin.de
1933 51,75 m 13,43 m 1.138 t 6,01 m 2.200 PS
Foto: Urban Duemmong












































































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