Baden-Württemberg

08.02.2018


Konzernmagazin Nr. 4/2017

Willkommen in Baden-Württemberg

Von wegen „Ländle“

In Baden-Württemberg wird Schlaues erdacht und Großes vollbracht: Der deutsche Südwesten ist innovativ, produktiv und reich – vor allem an Klischees, Brauchtum und Mundarten

Putze, schaffe, spare, schwäbisch schwätze, Daimler fahre, Spätzle esse – und die Kehrwoch’ nedd vergesse.“ Denkt man an Baden-Württemberg, purzeln die Klischees munter aus dem Hirnareal für Vorurteile. Oft sind sie abwegig – und das nicht nur, weil die offizielle Kehrwoche längst abgeschafft ist.
 
So zielen die meisten Klischees allein auf die Schwaben im Landesteil Württemberg. Was vielen, insbesondere Nordlichtern, für die kurz hinter Hannover Italien anfängt, selten bewusst ist: Baden-Württemberg ist ein höchst heterogenes Gebilde. Zwischen Rhein, Neckar, Donau und Bodensee siedeln sehr verschiedene Völkerschaften – mit sprachlich wie historisch klaren Grenzen.
 
Zum Beispiel verwenden die Menschen in Baden-Württemberg, die bekanntlich alles außer Hochdeutsch können, mehr als zehn verschiedene Wörter für Kartoffeln: In einigen Landesteilen kommen je nach Mundart „Grumbeera“, „Herdäpfel“, „Aibiira“ oder sogar „Erdnüsse“ auf den Tisch, in anderen „Aidäpfel“, „Ebbiira“ oder „Bodabira“. Im Nordwesten, auf dem Gebiet der alten Kurpfalz um Mannheim, erinnert der Dialekt sehr an den pfälzischen Singsang von der anderen Rheinseite, im Nordosten erklingt dagegen ein fränkisch eingefärbter Zungenschlag. Die Sprachgrenzen ziehen sich nicht nur quer durch das Bundesland, sondern auch durch die Regionen. Die Badener im Norden, die man am schnellsten beleidigt, wenn man sie „Badenser“ nennt, sprechen die rheinischen und fränkischen Dialekte, während die Südbadener alemannisch gefärbt reden – wie ihre Nachbarn im Elsass. Und zwischen Stuttgart und der Landesgrenze zu Bayern „schwätzt“ man tatsächlich schwäbisch – das aber in verschiedenen Varianten.
 
Vielfach spiegeln sich in den sprachlichen Unterschieden alte politische Grenzen wider, die aus dem 19. Jahrhundert oder noch früheren Zeiten stammen. Das Bundesland Baden-Württemberg entstand nach dem Krieg aus drei bis 1933 existenten Territorien: dem „Freistaat Baden“, dem „Volksstaat Württemberg“ und der preußischen Provinz „Hohenzollernsche Lande“. Reibungslos verlief der Zusammenschluss nicht, insbesondere die Südbadener lehnten einen großen Südweststaat ab – man fürchtete eine schwäbische Dominanz.

Die Befürworter führten wirtschaftliche und politische Vorteile ins Feld. Am Ende musste ein Bundesgesetz den Abstimmungsmodus für einen Volksentscheid festlegen, da sich die drei Landesregierungen nicht einigen konnte. Bei der Abstimmung im Dezember 1951 votierten 70 % aller für die Gründung eines gemeinsamen Bundeslandes. Doch während in Württemberg 92 % zustimmten, gaben in Nordbaden nur 57 % ihr Jawort– in Südbaden lehnte eine Mehrheit von 62 % den Zusammenschluss ab. Am 25. April 1952 wurde das Bundesland Baden-Württemberg gegründet – übrigens als einziges nach einer Volksabstimmung. Der Widerstand der „Altbadener“ war aber nicht gebrochen. Sie erstritten 1956 vor dem Bundesverfassungsgericht eine neue Volksabstimmung. Sie fand aber erst 1970 statt und erbrachte eine Mehrheit von 82 % für den Verbleib in Baden-Württemberg. Die kulturelle Teilung hat aber bis heute Bestand: Im badischen Karlsruhe und im württembergischen Stuttgart gibt es je ein Staatstheater, eine Staatsgalerie, ein Landesmuseum und eine Landesbibliothek.

Im Südweststaat wuchs demnach nicht zusammen, was zusammengehörte, sondern was zusammen politisch und wirtschaftlich stark war. Wirtschaft, das heißt in Baden-Württemberg vorrangig Industrie und Gewerbe; dort sind knapp 40 % der Erwerbstätigen beschäftigt. Zwar ist auch die Landwirtschaft mit dem Getreide- und Futteranbau sowie der Forst-, Obst- und Weinwirtschaft ein wichtiger Erwerbszweig – die beiden Weinanbaugebiete Baden und Württemberg decken mehr als ein Drittel der deutschen Weinanbaufläche ab, nur in der Pfalz und in Rheinhessen wachsen mehr Reben. Doch ist Baden-Württemberg das Bundesland mit dem höchsten Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt. Es kann bei vielen wirtschaftlichen Kennzahlen nicht nur deutschland-, sondern auch europaweit Bestwerte vorweisen: Das Bundesland und allen voran die Regierungsbezirke Stuttgart, Karlsruhe und Tübingen zählen heute zu den wirtschaftsstärksten und wettbewerbsfähigsten europäischen Regionen. Der Großraum Stuttgart gilt als das größte industrielle Zentrum Europas. Baden-Württemberg erwirtschaftet 15,2 % des deutschen Bruttoinlandsproduktes, doch nur 13,2 % der Deutschen leben hier. Atemberaubend ist eine andere Zahl: Fast 30 % aller deutschen Patente werden in Baden-Württemberg angemeldet.

Innovationsfreudigkeit ist eine der Säulen für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes. Rund 5 % des Bruttoinlandsprodukts werden in Forschung und Entwicklung investiert, der Bundesdurchschnitt beträgt nur etwa 2 %. Mit dieser Quote liegt Baden- Württemberg in der Rangliste der 97 EU-Regionen mit deutlichem Vorsprung auf Platz eins. Nirgendwo sonst werden in Relation zur Bevölkerungszahl mehr Patente angemeldet als im deutschen Südwesten. Nicht zufällig sind hier auch viele Forschungseinrichtungen zu Hause wie die Institute der Max-Planck- Gesellschaft, das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt Stuttgart, das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung sowie mehrere Institute der Fraunhofer-Gesellschaft.
 
Schon in der Vergangenheit stand die Wiege vieler Tüftler in Baden und Württemberg. Hier wurden im 19. Jahrhundert das Fahrrad, das Motorrad und das Auto erfunden – man könnte auch sagen: die moderne Mobilität. Nur beim Flugzeug waren andere schneller. Vielleicht, weil 1815 ein gewisser Albrecht Ludwig Berblinger, besser bekannt als der „Schneider von Ulm“, mit seinem Flugapparat in die Donau stürzte und man in Baden und Württemberg fortan lieber am Boden blieb. Immerhin ersann mit Graf Ferdinand von Zeppelin ein Südbadener in Friedrichshafen die wohl erhabenste Form der Luftfahrt.
 
Produkte für die moderne Mobilität sind heute der wichtigste Motor für die Industrie des Bundeslandes: Rund 25 % der industriellen Umsätze werden im Land durch den Automobilbau inklusive dessen Zulieferbetriebe erzielt. Dicht dahinter folgen der Maschinen- und Anlagenbau mit einem Anteil von 20 % sowie die Metall- und Elektroindustrie mit jeweils 7 %. Damit ist das Land für den Stahlabsatz und -handel ein wichtiger Markt, den die Salzgitter AG über die Salzgitter Mannesmann Stahlservice GmbH in Karlsruhe und die Salzgitter Mannesmann Stahlhandel GmbH mit dem Standort Plochingen bedient. Mehr dazu lesen Sie auf den folgenden Seiten.
 
Die Salzgitter Mannesmann Stahlservice GmbH in Karlsruhe bietet ein gutes Beispiel für die wirtschaftliche Kultur und Struktur, die für Baden-Württemberg typisch und für dessen wirtschaftlichen Erfolg so wichtig ist: Der starke Mittelstand bildet die andere Säule, auf dem die Wirtschaft des Landes ruht. Den namhaften Riesen wie Bosch und Daimler mit zusammen rund 170.000 Beschäftigten und vielen weniger bekannten, aber ebenfalls global tätigen Unternehmen wie Trumpf (Maschinenbau) und Freudenberg (siehe Seite 14) mit zusammen 12.000 Beschäftigten steht eine Vielzahl kleinerer Unternehmen zur Seite – 99 % aller Firmen in Baden-Württemberg sind mittelständische Betriebe mit maximal 250 Beschäftigten.

Viele dieser Firmen sind in Familienbesitz und haben ihren Ursprung in Handwerksbetrieben, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert gegründet wurden. Sie sind ausreichend groß, um stark zu sein, aber klein genug, um flexibel bleiben zu können. Es kann einem Wirtschaftsreisenden passieren, dass er in einem 2.000-Seelen- Ort mit dem hemdsärmeligen Geschäftsführer eines Betriebes spricht und zu seiner Verblüffung erfährt, dass die Firma in diesem und jenem Segment Weltmarktführer ist. Rund 100 so genannter „Hidden Champions“ gibt es in Baden-Württemberg, die hoch spezialisierte technologische Produkte für den globalen Markt entwickeln und produzieren.
 
Mittelständische Betriebe gibt es überall, doch im Südwesten ticken sie anders. Zur Vielfalt und Flexibilität der Firmen kommen die räumliche Nähe und eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit hinzu. Die Wirtschaftslandschaft in Baden-Württemberg gleicht einer Reihenhaussiedlung: Man kennt sich und hilft sich gegenseitig aus – selbst wenn man im Wettbewerb zueinander steht. Nicht mit Butter und Salz, aber mit Lagerkapazitäten, Transportmitteln oder wo sonst ein Engpass droht.
 
Vor allem kooperiert man über die Grenzen von Branchen und Institutionen hinaus: Eine andere Besonderheit des Bundeslandes sind die sogenannten Cluster. Rund 120 solcher Zusammenschlüsse von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und öffentlichen Stellen gibt es in Baden-Württemberg – mit unterschiedlichen Schwerpunkten in den Regionen: In Mannheim steht die Biotechnologie im Fokus, in Freiburg die Umwelttechnologie, am Bodensee die Luft- und Raumfahrttechnik und in Stuttgart natürlich die Automobilindustrie.
 
Das Land weiß genau um die Vorteile dieser Schwerpunkte. Das Wirtschaftsministerium gründete 2014 die „ClusterAgentur BW“ zur gezielten Förderung der regionalen Kooperation. Die Agentur unterstützt regionale Cluster- Initiativen und landesweite Netzwerke bei der Weiterentwicklung und Professionalisierung.
 
So prägen Tüftlergeist und Mittelstand ein ebenso erfolgreiches wie bemerkenswertes Bundesland, dem die Verniedlichung „Ländle“ kaum gerecht wird. Probleme gibt es aber natürlich auch. Wer rund um Stuttgart schon einmal im Stau stand, weiß um die unzureichende Infrastruktur. Und wer im Südwesten für eine offene Stelle Bewerber sucht, macht seine Erfahrungen mit dem Mangel an Fachkräften und muss diesen schon etwas bieten. Ein Umzug kann sich für Arbeitnehmer also lohnen. Wetter und Küche sind ohnehin besser als in vielen anderen Regionen. Nur der Dialekt „isch“ halt „äbbas“, woran sich Zugezogene gewöhnen müssen. Die Menschen in Baden-Württemberg haben ja schon viel erfunden – aber Hochdeutsch gehört gewiss nicht dazu.


Großer Durst im Südwesten

Mammutprojekt unter hohem Zeitdruck: Die Salzgitter-Tochter KHS lieferte zwei Hochleistungsabfülllinien nach Bruchsal in Baden. Der Auftrag wurde eine Erfolgsstory

Im badischen Bruchsal betreibt die Hansa- Heemann AG, der zweitgrößte Mineralbrunnen Deutschlands, einen Produktionsstandort. Um die Belieferung von Kunden in Südwestdeutschland ausbauen zu können, sollten die drei dortigen Abfülllinien durch zwei Hochleistungslinien ergänzt werden. Hier kam die Salzgitter-Tochter KHS zum Zug. Der Anbieter von Abfüll- und Verpackungslösungen musste dabei hohe Anforderungen erfüllen. „Wir brauchen Lösungen, die sowohl geringe Betriebskosten, niedrigen Energieverbrauch und effektiven Personaleinsatz ermöglichen als auch maximale Anlagen- und Ausbringungsleistung“, erinnert sich der Projektleiter Michael Weller von Hansa- Heemann. Das Unternehmen erziele schließlich einen Großteil seines Umsatzes mit der Belieferung von Discountern sowie als Lohnabfüller für andere Markenartikler und müsse jede Möglichkeit zur Kostenreduzierung ausloten. „Für uns Getränkehersteller heißt das, dass wir zum Beispiel mit unseren Produkten ständig neue Wege in Richtung Verpackungsoptimierung einschlagen müssen.“ Schon in der Vergangenheit setzte Michael Weller auf KHS und machte damit gute Erfahrungen. In Bruchsal wurden jeweils zwölf Maschinen in den beiden PETLinien im Zwei-Block-Design verbaut. Die größten Pluspunkte boten aus Sicht des Projektleiters das Maschinenlayout, das auf einem klaren Bedienkonzept basiert, sowie die neue Technologie der miteinander verblockten Blasmaschinen und Füller. Am meisten beeindruckt ihn aber eine andere Innovation: „Mit der Transportsteuerung wird eine sehr effiziente Leistungsregelung der Linie erreicht. Stop-and-go wird vermieden, sodass in Summe ein verbesserter Anlagenwirkungsgrad erzielt wird.“

Beim Kapazitätsausbau war jedes Gewerk von der Ausmischung bis hin zum Lager in die Planung und Umsetzung einbezogen. Zu der hohen Komplexität des Mammutprojektes kam noch ein überaus enger Zeitplan hinzu, erinnert sich der Werksleiter Thomas Herzog: „Dem Termindruck konnten wir nur mit Ausdauer und Freude an der Arbeit standhalten – und mit der Aussicht, uns selbst am Ende des Projektes mit der erfolgreichen Abnahme zu belohnen.“
 
Die neuen Linien verbrauchen wegen ihrer innovativen Maschinentechnologie rund 20 Prozent weniger Energie. Allein dadurch wurden die Gesamtbetriebskosten gesenkt. Der Standort Bruchsal verfügt jetzt über so moderne und produktive Linien, dass das Werk im Hochleistungsbereich abfüllt. In seinem Fazit lobt Thomas Herzog die reibungslose Zusammenarbeit: „Irgendwann war die Grenze zwischen Lieferant und Kunde nicht mehr zu erkennen – und das musste auch so sein.“