Erfolg schafft Freiheit

06.03.2002 | Salzgitter AG


Erfolg schafft Freiheit

Die Salzgitter AG hat für 2001 ihr bestes Ergebnis seit elf Jahren erzielt und sich damit ihre Position innerhalb der Stahlbranche gesichert. Allen Skeptikern zum Trotz hat sich die groß angelegte offensive Wachstumsstrategie als richtig erwiesen und den Salzgitter Konzern auf Erfolgskurs gebracht. Was die entscheidenden Kriterien für den Turnaround waren, hat Harald M. Ortlepp bei seinem Besuch in Salzgitter erfahren. Noch vor wenigen Jahren hat man dem Stahl- und Technologieunternehmen Salzgitter AG - hauptsächlich aufgrund seiner mangelnden Größe - kaum Überlebenschancen eingeräumt. Aber was für den einen den sicheren Untergang bedeutet, kann sich beim anderen auch in das Gegenteil kehren: Mit einer weitreichenden neuen Unternehmensstrategie hat sich die Salzgitter AG zu einem gesunden und eigenständigen Vorzeige-Unternehmen stabilisiert, das mit großen Schritten auf hohe Ziele zugeht. "Wir streben in einzelnen Produktsegmenten einen führenden Marktanteil in Europa an", sagt Wolfgang Leese, Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG. "Und dabei zählen nur die vorderen Plätze."

Die Wurzeln der Salzgitter AG reichen bis ins Jahr 1843 zurück. Damals wurde mit dem Kupferwalzwerk in Ilsenburg der erste Produktionsstandort errichtet. In Salzgitter selbst begann die Stahlproduktion 1937 mit dem Aufbau eines integrierten Hüttenwerks. 1970 schloss sich die damalige Salzgitter Hüttenwerke GmbH mit der 1873 gegründeten Ilseder Hütte zur Stahlwerke Peine-Salzgitter AG zusammen und in den achtziger Jahren wurde das Unternehmen durch die Fusion mit dem Preussag Konzern zur Preussag Stahl AG. 1998 wurden die Stahlwerke wieder aus dem Konzern herausgelöst und gingen unter dem Namen Salzgitter AG an die Börse. Derzeit beträgt der Freefloat der Aktien etwa 54 Prozent, der Rest wird vom Land Niedersachsen und der Norddeutschen Landesbank gehalten. Dr. Heinz Jörg Fuhrmann, Finanzvorstand der Gesellschaft, sieht die Zielgröße des Freefloat bei 60 Prozent.

"Zum Schutz vor einer feindlichen Übernahme halten wir eine hinreichend bemessene Minderheitsposition für essentiell", erklärt er. "Nur so können wir unseren erfolgreichen Weg der Eigenständigkeit fortsetzen." Als Wolfgang Leese Ende 1999 in den Vorstand der Salzgitter AG berufen wurde, um Anfang 2000 den Vorstandsvorsitz zu übernehmen, setzte er im Rahmen der Wachstumsstrategie sofort neue Akzente.

In den vergangenen zwei Jahren hat er nicht nur neue Strukturen geschaffen, mit einer Erfolgsmeldung nach der anderen konnte er überdies eindrucksvoll belegen, dass die Wachstumsstrategie richtig ist: Das Geschäftsjahr 2001 weist den besten Abschluss seit elf Jahren aus. Bei einem Außenumsatz von 4,6 Mrd. Euro erzielte der Konzern 160,3 Mio. Euro Gewinn vor Steuern (EBT). Wie bereits im Vorjahr ist das Ergebnis unter Anwendung der IAS (International Accounting Standards) ermittelt worden. Im Vergleich zum Vorjahr konnte der Umsatz um 40 Prozent, der Vorsteuergewinn um 65 Prozent und das Ergebnis nach Steuern sogar um 106 Prozent auf 144,3 Mio. Euro verbessert werden.

Entscheidenden Anteil an diesem außerordentlichen Resultat hat der Unternehmensbereich Röhren mit 101,9 Mio. Euro Vorsteuergewinn bei 1,0 Mrd. Euro konsolidiertem Umsatz. Erst im Jahr 2000 wurde das Röhrengeschäft in Form der Mannesmannröhren-Werke akquiriert - Wolfgang Leese bezeichnete den Kauf als Glücksfall, denn im Nahtlosrohrbereich und in der Großrohrfertigung waren die MRW-Gesellschaften bereits zum Zeitpunkt der Übernahme Weltmarktführer. Sicherlich mehr als nur Glück war es jedoch, dass sich dieser Unternehmensbereich wesentlich besser entwickelt hat als ursprünglich erwartet. Die lebhafte Nachfrage auf dem Weltmarkt - insbesondere für Ölfeld- und Leitungsrohre - aber auch die internen Maßnahmen zur Restrukturierung und Ergebnisverbesserung haben ihre positiven Spuren hinterlassen. Im Gegensatz zu dem erfreulichen Verlauf des Röhrengeschäfts hatte der Konzern im Bereich Stahl mit der spürbar rückläufigen konjunkturellen Lage auf dem Weltmarkt zu kämpfen.

Zum Außenumsatz des Konzerns konnten 1,4 Mrd. Euro, zum Gewinn vor Steuern 30,1 Mio. Euro beigetragen werden, was allerdings einer Ergebnisminderung gegenüber dem Vorjahr von 60 Prozent entspricht. Für den Unternehmensbereich Handel wirkte sich die vollständige Einbeziehung der Universal Eisen und Stahl GmbH und eine 50prozentige Quotenkonsolidierung der Robert S.A. stabilisierend aus. Mit 1,9 Mrd. Euro Außenumsatz wurden 18,5 Mio. Euro Gewinn vor Steuern erwirtschaftet, was einer Steigerung von sechs Prozent gleichkommt.

Ebenfalls mit schwarzen Zahlen hat der Bereich Dienstleistungen abgeschlossen (0,2 Mrd. Euro Außenumsatz, 12,8 Mio. Euro Gewinn vor Steuern), die Verarbeitung musste bei 0,1 Mrd. Außenumsatz einen leichten Verlust von 2,3 Mio. Euro hinnehmen. Insgesamt gesehen, kann man das Ergebnis - vor allem in Anbetracht der allgemeinen Wirtschaftslage - als beachtlichen Erfolg werten. Gekrönt wird er von der Tatsache, dass die Salzgitter AG im Herbst letzten Jahres in den MDax aufgenommen worden ist, was von Anfang an eines von Wolfgang Leeses vorrangigen Zielen war.

"Die Aufnahme in den MDax hat uns einen weiteren Schub verliehen, der die Eigenständigkeit des Unternehmens zusätzlich absichert." In den ersten Monaten des neuen Geschäftsjahres zeichnet sich eine zwiespältige Situation ab: Während es für den Unternehmensbereich Röhren weiterhin überwiegend positive Signale gibt, scheint der Bereich Stahl gerade seinen Tiefpunkt des branchenspezifischen Konjunkturzyklus zu durchschreiten. Wie schnell sich die Geschäftslage verbessern wird, hängt sowohl von der Entwicklung der Weltwirtschaft - besonders im Hinblick auf die aktuellen politischen Geschehnisse im Nahen und Mittleren Osten - als auch von der speziellen Situation auf den Weltstahlmärkten ab. "Die Salzgitter AG sieht sich allerdings auch unter diesen Vorzeichen in der vorteilhaften Lage, negativen Ergebniseffekten durch interne Maßnahmen, ihre breite Marktaufstellung und ihr diversifiziertes Produktportfolio begegnen zu können", betont Wolfgang Leese.

Seinen Optimismus stützt er vor allem auch auf die positive Börsenkarriere der Salzgitter AG. Dass die MDax-Kriterien im ersten Anlauf geschafft wurden, wertet er als Meilenstein für den Konzern. "Die Zugehörigkeit zu den Top 100 der deutschen Börse stabilisiert den Grad an Aufmerksamkeit im Kapitalmarkt, den wir nunmehr erlangt haben", kommentiert Finanzchef Dr. Fuhrmann. "Zudem ist jetzt manche Tür offen, die uns bisher verschlossen war - beispielsweise die zu den indexorientierten Investoren." Dass die Old Economy insgesamt wieder einen Aufwärtstrend erfährt, erklärt Dr. Fuhrmann damit, dass am Ende eben doch Qualität und Fakten zählen.

Unsere Zeit neige zu Übertreibungen, sagt er, denn die Höhenflüge der Neue-Markt-Werte hielt er für ebenso skurril wie er den generellen Absturz nicht gerechtfertigt sieht. "Zocken ist über einen gewissen Zeitraum fälschlicherweise als Aktienkultur gedeutet worden. Inzwischen haben hoffentlich alle dazugelernt und verstanden, dass es keine neue Betriebswirtschaft gibt. Kriterien wie Gewinn, Rentabilität und Solidität sollten eine Rolle spielen, wenn man anderen sein Geld anvertraut." Vertrauen werde auch nicht durch das Abbrennen kurzfristiger Strategie-Feuerwerke gebildet, so Dr. Fuhrmann weiter, sondern durch Glaubwürdigkeit aufgrund nachhaltigen Wirtschaftens und der langfristigen Steigerung des Unternehmenswertes.

Die Akquisitionspolitik des Konzerns hat mit dem beachtlichen Ergebnis einer einjährigen Amortisationsdauer - üblich sind fünf bis zehn Jahre - gezeigt, dass Wachstum nicht wahllos stattfinden muss. Auch das hat die Börse honoriert, denn die Aktie kann eine um 40 Prozent bessere Entwicklung als der Branchenindex vorweisen. Der Begriff Shareholder Value ist also wieder geprägt von der traditionellen Bedeutung der Vermögensmehrung durch nachhaltige Gewinnerwirtschaftung. Und die Mehrung von Shareholder Value ist für ein börsennotiertes Unternehmen die Existenzgrundlage.

Dennoch halten die Vorstände der Salzgitter AG an dem Grundsatz fest "Die Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht der Mensch für die Wirtschaft". Das bewährte deutsche System des maßvollen Ausgleichs zwischen den Interessengruppen bewerten sie nicht nur deshalb höher, weil es lebenswerter ist, sondern weil es sich auch als leistungsfähiger erwiesen hat gegenüber einseitig neoliberalen, auf Konfrontationskurs ausgelegten Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen. Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs ist die Entwicklung des Produktportfolios des Salzgitter Konzerns, das sich konsequent an den Kernkompetenzen rund um die Herstellung, die Verarbeitung und den Handel mit Stahl und Stahlprodukten orientiert. Dabei geht es weniger um neue Technologien bei der eigentlichen Stahlerzeugung, denn dies sei sehr ausgereift, sagt Wolfgang Leese, da lasse sich nicht mehr viel erfinden. "In der Qualität sind wir mit der deutschen Stahlindustrie bereits führend. So setzen wir beispielsweise im Bereich der Feuerverzinkung und der Oberflächenveredlung für die Automobilindustrie und andere Kunden auf völlig neue technologische Konzepte." Investitionen in neue Anlagen und verbesserte Prozesse sollen die Wertschöpfungskette und die Qualität erhöhen und somit dem Kunden immer wieder innovative Produkte bieten.

Die Magnesium-Technologie zum Beispiel, mit der der Salzgitter Konzern Neuland betreten hat. "Zurzeit sind wir hier die Einzigen, die das systematisch verfolgen." Gleichzeitig wird sowohl das interne als auch das externe Wachstum in definierten Geschäftsfeldern vorangetrieben. "Mit einer reifen Industrie kann ich in einem industrialisierten Land kein großes Wachstum mehr erwarten", sagt Leese. "Das heißt, ich muss mit meinen Produkten in Regionen gehen, in denen noch Wachstum zu erwarten ist." Ausbaumöglichkeiten sieht er zum Beispiel in der weltweiten Gas- und Wasserversorgung, die zunehmend über weite Transportstrecken stattfindet.

Ziel ist eine Umsatzgröße von insgesamt zehn Milliarden Euro, die auf mehreren festen und kontinuierlichen Säulen steht und letztlich ein ROCE (Return of Capital Employed) von mindestens zwölf Prozent erwirtschaftet. Ein derart schnelles Wachstum bedarf auch straffer Unternehmensstrukturen. Deshalb wurde der Konzern völlig neu organisiert, so dass eine schlanke Management-Holding die fünf Unternehmensbereiche steuert. Ihr obliegen die übergeordneten Strategien, das Controlling, die Finanzen und die Kommunikation. Die fünf Geschäftsbereiche Stahl, Handel, Verarbeitung, Dienstleistungen und Röhren wurden dezentralisiert und können mit großer Eigenverantwortung und entsprechenden Entscheidungsbefugnissen weitgehend selbstständig agieren. "Damit erreichen wir eine höhere Flexibilität, die zu mehr Kundennähe und einer besseren Reaktionsgeschwindigkeit führt", erklärt Wolfgang Leese. Natürlich müssen all diese Veränderungen von der gesamten Belegschaft verstanden, akzeptiert und getragen werden.

"Unser neues Unternehmensleitbild muss gelebt werden", sagt Leese. "Veränderungsprozesse setzen die Veränderungsbereitschaft aller voraus. Mit unserem Leitbild "5P", das die übergeordneten Ziele und Unternehmensgrundsätze beinhaltet, tragen wir dazu bei, dass unsere neue Unternehmenskultur keine Theorie bleibt, sondern mit Hilfe konkreter Projekte und Maßnahmen zum gelebten Alltag wird. In diesem Zusammenhang ist es ganz wichtig, dass wir über alle Hierarchieebenen hinweg offen miteinander kommunizieren." Die Initialzündung zu "5P" kam gleich zu Anfang der Neuorganisation von dem Vorstandsvorsitzenden selbst.

In einer internen Arbeitsgruppe wurden die Kernaussagen des Konzernleitbildes ausgearbeitet und diskutiert. Die "5P" stehen für 1. das Bekenntnis zur Gewinnerwirtschaftung (Profit), 2. eine besondere Kundennähe (Partner), 3. die Ausrichtung auf neue Technologien (Produkte), 4. die Strategie der Dezentralisierung (Prozesse) und 5. eine effektive Kommunikation (Personal). Jeder Mitarbeiter ist zu unternehmerischem Denken und Handeln aufgerufen.

Umso wichtiger war es während der Entwicklungsphase immer wieder darauf zu achten, dass alle Grundsätze verstanden und aktiv gelebt werden können. Im Februar letzten Jahres wurde das Konzept bei dem jährlich stattfindenden Konzernforum präsentiert und seitdem aktiv in die einzelnen Gesellschaften getragen. Als Wolfgang Leese beim diesjährigen Konzernforum seine positive Zwischenbilanz zog, kommentierte er sie mit der Bemerkung: "Der Start in die neue und gemeinsame Salzgitter-Zukunft ist uns gelungen."

Gleichzeitig bot er übertriebenen Euphorien Einhalt, indem er feststellte, dass sich das Unternehmen gerade auf dem ersten Drittel der Wegstrecke befinde und es nun gelte, die Stellung weiter auszubauen. Nachhaltige Ergebnisverbesserungsprogramme und internes wie externes Wachstum durch Akquisitionen und tragfähige Allianzen sollen dazu führen. "Wir werden einen Masterplan für unsere strategische Weiterentwicklung aufstellen", kündigte Leese an und forderte die Konzernmitarbeiter auf, sich aktiv daran zu beteiligen, um die Eigenständigkeit und die Schlagkraft des Konzerns zu sichern.

Wenn Wolfgang Leese seine Mitarbeiter auch weiterhin mit so viel bewundernswerter Energie und Begeisterung motiviert, dürfte sein Ziel, die Salzgitter AG auf die vorderen Plätze des Weltmarktes zu positionieren, schon bald in greifbare Nähe rücken.