Arbeitswelt Stahl - Wunderbar wandelbar
Dr. Joachim Kroos forscht an einem Stahl mit Wunderwirkung. Wenn ihm das gelingt, ist Joachim Kroos dem Ei des Kolumbus einen Riesenschritt näher gekommen. Einen Stahl zu produzieren, den man mehrfach um den Finger wickeln kann, aus dem die deutschen Auto-Konzerne lieber heute als morgen ihre Karosserien bauen würden und der bei Salzgitter die Energiebilanz rasant verbessern würde.
Das Stück Stahl in seiner Hand sieht eigentlich aus wie eine Schraube mit ganz grobem Gewinde. Wie aus dem Holzbaukasten im Kinderzimmer. 'Dieser Stahl ist mehrfach um die eigene Achse gedreht', sagt Joachim Kroos mächtig stolz. Und schiebt dem ungläubigen Besucher, der die Bedeutung nicht erfasst, den entscheidenden Satz gleich hinterher: 'Mehrfach um die eigene Achse, ohne jeden Bruch, ohne jeden Riss.' Stahl, fast so plastisch wie Kuchenteig, dabei so fest, dass man Autos aus ihm bauen kann, die noch leichter und noch stabiler sind. Man legiere den Stahl beispielsweise mit wenigen Prozenten Silizium und Aluminium sowie einigem Mangan. An diesem Rezept für den wandelbaren Superstahl tüftelt nicht nur Joachim Kroos. Alle großen Stahlproduzenten wollen diesen Stahl, den das Max-Planck-Institut mitentwickelte, möglichst bald auf ihren Walzstraßen zu High-Tech-Blechen für Automobil-Karosserien verarbeiten. Kein Wunder: Im Vergleich zu konventionellen Stählen lässt sich diese Neuentwicklung nicht nur doppelt so stark dehnen, sondern ist dabei auch zweimal so fest. Kroos: 'Man denke nur mal an das Crash-Verhalten beim Auto, das sich hierdurch noch wesentlich verbessern ließe.' Dabei ist der neue Stahl viel leichter als heutige Stahlsorten und würde in den Autos weitere Kilos einsparen. 'Wir denken, dass wir mit dem neuen Werkstoff das Gewicht der Karosserie noch einmal um bis zu 20 Prozent reduzieren könnten.' Aussagen, die Autobauer neugierig machen. Wäre da nicht das Problem, dass der Superstahl zurzeit nur äußerst aufwendig herzustellen und zu verarbeiten ist. 'Dieser Stahl lässt sich konventionell nur unter größten Schwierigkeiten und mit hohem Aufwand herstellen.' Auf Deutsch: Ideen sind gefragt. 'Wir tüfteln gemeinsam mit der Technischen Universität Clausthal an einer neuen Produktionsstraße, mit der wir den Stahl gleich in die gewünschte Dicke gießen können.' Damit arbeitet der 37-Jährige an einem technologischen Quantensprung. Denn wer Stahl millimetergenau produzieren will, der muss gleich mehrere Arbeitsschritte einsparen. Ziel: Aus dem flüssigen Stahl werden unmittelbar dünne Bleche gegossen, aus denen später Karosserieteile hergestellt werden können. Das würde nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld sparen. Allein der Energieeinsatz ließe sich um bis zu 90 Prozent reduzieren. Energiesparen in neuen Dimensionen. Zum Vergleich eine konventionelle Produktionsstraße: Es sind mehrere Walzstufen notwendig, um die gewünschten Dicken zu erzielen.
Mit der neuen Technologie fällt außerdem das Wiedererwärmen vor dem Walzen fort, was den Energieeinsatz senkt. Wer Schritte einsparen will, muss dafür sorgen, dass trotzdem die Qualität stimmt. Keine leichte Aufgabe mit einem Stahl, der dem Entwicklungsteam das Beste abfordert. Es müssen deshalb noch viele Fragen gelöst werden, bis aus einer Idee eine Serienanlage wird. Doch die neue Anlage ist nicht das Einzige, das der Physiker mit Argusaugen beobachtet. 'Unser Ziel ist es, die Qualität der Werkstoffe in engster Abstimmung mit unseren Kunden ständig zu steigern und alle Produktionsverfahren zu optimieren sowie Kosten zu sparen.' Eine Vision des Entwicklungsteams: das virtuelle Werkstoffdesign. Was verbirgt sich hinter dem Begriff? Kroos: 'Auf der Basis physikalischer Modelle sollen die Legierungszusammensetzung und das gesamte Herstellungsverfahren so gewählt werden, dass sich die gewünschten optimalen Werkstoffeigenschaften ergeben. Dies erfolgt virtuell im Rechner, da nur auf diese Weise die große Vielfalt von Prozessparametern und Einflussgrößen untersucht werden kann. Eine derartige Methode wird es uns ermöglichen, noch schneller zusammen mit den Kunden neue Werkstoffkonzepte bis zur Marktreife zu entwickeln.' Ob ihm die Ideen für Verbesserungen ausgehen? 'Keineswegs, gerade arbeiten wir zusammen mit der Universität Hannover, dem Fraunhofer-Institut für zerstörungsfreie Prüfung, mit Voestalpine und ThyssenKrupp an einer Technik, mit der wir die Materialbeschaffenheit von Stahl lückenlos prüfen können.' Wieder eine Revolution. Derzeit müssen die Prüftechniker Proben der fertigen Stahlprodukte entnehmen und mechanisch testen, um zu dokumentieren, ob die angestrebten Festigkeiten auch erreicht werden. 'Künftig wollen wir die Festigkeit messen, ohne den Stahl überhaupt anzufassen. Indikatoren wie das elektromagnetische Werkstoffverhalten lassen detaillierte Rückschlüsse zu', sagt Kroos.
Der Erfolg wäre groß: Eine lückenlose Dokumentation für die Produkte, also eine Art Zeugnis, wäre denkbar. Kroos: 'Ich hätte mir früher nicht vorstellen können, dass Stahl ein so wandelbarer Werkstoff ist, dessen Grenzen noch längst nicht erreicht sind und der nach wie vor viele neue Einsatzgebiete erschließen wird. Dabei stellt uns die komplexe Prozesstechnik – von der Erzeugung über die Anwendung bis hin zum Recycling – immer wieder vor neue, begeisternde Herausforderungen.'